Café Extra: Philipp Scharrenberg testet in Büttelborn sein neues Programm „Germanistik ist heilbar“
BÜTTELBORN - Ob Philipp Scharri übers „lyrische Ich“ spöttelt, ob er literarturwissenschaftliche Interpretation („Was will der Autor uns sagen?“) karikiert oder sich über die Berge von Sekundärliteratur lustig macht, am Ende bleibt er, was er ist: ein Germanist. Und – Hand aufs Herz: Er bleibt dies gern. Da mag er zur Erheiterung des Publikums Reime schütteln und Worte verdrehen, angewandte Kenntnis von Versmaß, Satzlehre und vielschichtiger Wortbedeutung weisen ihn doch immer als Sprach-und Literaturwissenschaftler par excellence aus. „Germanistik ist heilbar“ heißt das neueste Programm des Mannes, der mit Kabarett und Stand-up-Poetry seit zehn Jahren Erfolge feiert.
Scharri, der seit 2016, als er 40 wurde, gern wieder auf seinen bürgerlichen Namen Scharrenberg zurückgreift, sagt: „Die meisten Leute, denen ich vom neuen Programm erzählte, äußern Skepsis: Germanistik – heilbar? Das bezweifle ich.“ Und er lacht, wohl wissend, dass er im Mix von klassischer Form und aktuellem Inhalt grassierender Sprachschnoddrigkeit ausgewogenes Sprachgefühl entgegensetzt. Philipp Scharrenberg hatte im Café Extra ein Publikum um sich gescharrt, das teils aus Altersgenossen bestand, denen die universitäre Schule der Sprachwissenschaft jedenfalls nicht unbekannt schien. Die Besucher applaudierten diesem leidenschaftlichen Wortdrechsler, diesem Bühnendichter, der mit schulterlangen Locken und musikalischen Reimen – teils am Piano begleitet, teils im widerspenstigen Stakkato des Poetry-Slam – ein Nachfahre des spätromantischen Taugenichts von Eichendorff zu sein scheint: Gemäß dem Motto „Die Gedanken sind frei“ lässt er diese in Betrachtung zeitaktueller Themen in schönster Metrik laut werden. Da geht es etwa um beklagenswerte Fettleibigkeit und die Option veganer Ernährung („Du bist, was du isst“), da trägt Scharri die Poetry- Slam-Ode auf das Fußgängertum („Ich bin Retro, nehm’ keine Metro“) vor und karikiert zwanghaft geforderte Individualität („Einzigartigkeit ist en Vogue/wie das geht, steht im Katalog/ Lebe deinen Style/ Style ist geil“).
Nein: Philipp Scharrenberg will von Germanistik nicht geheilt sein, aber er holt sie vom Ross akademischer Deutungshoheit lebensnah herunter auf die Kleinkunstbühne. „Es gibt neben dem Job als Taxifahrer für Germanisten doch noch Alternativen – wie ihr seht.“ Auf der Bühne aalt er sich in Gattungen, Stoffen, Motiven – greift auf Goethe’sche Zitate („Dies also ist des Pudels Kern“) oder auf Brechts Moritat von Mackie Messer zurück, um etwa nachzuweisen, dass Sozialisation mit dem sprechenden Elefanten Benjamin Blümchen in den siebziger Jahren der Melodie eben jener Brecht-Moritat folgte. „BB – Benjamin Brechtchen“: Scharrenberg verknüpft, analysiert, verfremdet. Er ist ein Sprachenthusiast. Seine Texte, sind „für den Flachbildschirm nicht flach genug“.
Noch sei sein neues Programm in der Testphase, so Scharrenberg, der einige Zuschauer als Juroren auserkor und nach jedem Poem abstimmen ließ, wie’s ankam. Nachdem er vor vier Jahren mit einer Vorpremiere im Café Extra war („ReimVorteil“), schien er auch diesmal für Impulse möglicher Verbesserung dankbar. Indes: Seine „Studientraumata“ vor Publikum abzuarbeiten, zeitigte durchweg beiderseitiges Vergnügen.
Zur unverhohlenen Liebeserklärung an die Germanistik geriet Scharrenbergs Verriss eines Fan-Liebesbriefes: „Du willst mir wichtig bleiben, dann lern erst mal schreiben. Wer die Germanistik kränkt, kriegt mein Sperma nicht geschenkt. Kann denn Liebe Syntax sein? “ Grandios war die augenzwinkernde Rezension, die er seinem Poem „Staub der Sterne/ Raub der Ferne“ vorausschickte: „Poetische Tiefe fällt hier starrem Metrum zum Opfer. Scharrenberg ist kein Stern am Literaturhimmel.“ Erheiterung und Beifall im Saal.